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Amazon Preisvorgaben: Mechanismen, Auswirkungen und kartellrechtliche Einordnung

Christian Sturm

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In den letzten Jahren hat Amazon Preisvorgaben für Marketplace-Händler:innen eingeführt und diese nach und nach massiv ausgeweitet. Der Konzern diktiert den Verkäufer:innen dynamische Ober- und Untergrenzen, die automatisiert per Algorithmen berechnet werden. Transparenz ist hier nicht gegeben und die Preisgrenzen unterliegen nach Auswertung des Bundeskartellamtes dem freien Ermessen von Amazon. Der Argumentation, Kund:innen werde mit den Vorgaben ein konsistentes Einkaufserlebnis ermöglicht, steht dabei die Ansicht der Behörde gegenüber. Diese kritisiert die Preisvorgaben von Amazon und sieht darin einen massiven Eingriff in die Preisgestaltungsfreiheit sowie möglichen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Wir fassen für euch die Mechanismen von Amazon, deren Auswirkungen auf Händler:innen und die kartellrechtliche Einordnung zusammen.

Preiskontrollmechanismen im Detail

Zur Preisgestaltung werden ausgefeilte statistische Modelle und Algorithmen eingesetzt. Es werden dabei sowohl aktuelle und historische Angebote auf Amazon analysiert, als auch Preise von externen Wettbewerbern. Auf Basis dieser Daten werden in Echtzeit dynamische Preisgrenzen berechnet. Das weitere Vorgehen wird in drei Kategorien gegliedert:

  • Preisfehler

Angebote mit gravierenden Abweichungen zu den internen Referenzpreisen oder offensichtliche Fehleingaben (z. B. Cent-Beträge statt Euro) werden komplett vom Marketplace entfernt.

  • Zu hohe Preise

Der Preis liegt oberhalb der dynamisch berechneten Obergrenze. Händler:innen werden aus der Buy Box ausgeschlossen und erhalten schlechtere Platzierungen in der Suchergebnisliste. Ihre Produkte sind zudem von Amazon-Werbemaßnahmen ausgenommen.

  • Nicht wettbewerbsfähige Preise

Der Preis liegt zwar nicht im „Fehlerbereich“, aber über einem wettbewerbsfähigen Niveau im Vergleich zur Marktsituation. Die Sanktionen sind ähnlich wie bei „zu hohen Preisen“, jedoch können zusätzlich die Angebote aus hervorgehobenen Einkaufsfeldern entfernt werden.

Auswirkungen auf Händler:innen

  • Sichtbarkeit

Angebote oberhalb der Preisgrenzen werden aus der Buy Box entfernt oder seltener in Suchergebnissen angezeigt, was die Verkaufszahlen deutlich senken kann.

  • Margendruck

Viele Händler:innen, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, müssen Preise künstlich senken, um den Vorgaben zu entsprechen. Dadurch schrumpfen die Gewinnmargen oder es entstehen Verluste.

  • Wettbewerbsverzerrung

Wer es sich finanziell nicht leisten kann, Preise dauerhaft niedrig zu halten, wird aus dem Wettbewerb gedrängt und verliert Marktanteile.

  • Planungsunsicherheit

Die ständige Anpassung der Algorithmen und fehlende Transparenz erschweren die Kalkulation von Einkaufs- und Verkaufspreisen.

  • Abhängigkeit

Händler:innen geraten in eine Abhängigkeit von Amazons Preissetzungslogik, wodurch eigene Preisstrategien eingeschränkt werden.

Einschätzung des Bundeskartellamts

Im Herbst 2024 hatte das Bundeskartellamt bei 2.000 repräsentativ ausgewählten Online-Händler:innen eine Befragung zu den Preiskontrollen Amazons beauftragt. Auch auf deren Ergebnissen basiert die aktuelle Einschätzung, wonach es die Preisobergrenzen von Amazon für Angebote von Dritten auf der Online-Plattform des US-Konzerns wettbewerbsrechtlich für bedenklich hält.

„Der Wettbewerb im Online-Handel in Deutschland wird zu einem großen Anteil durch Amazons Regeln für die Handelsplattform bestimmt. Da Amazon auf ihrer Plattform in den direkten Wettbewerb zu den übrigen Marktplatzhändlern tritt, ist eine Einflussnahme auf die Preisgestaltung der Wettbewerber auch in Form von Preisobergrenzen grundsätzlich wettbewerblich bedenklich. Dies gilt insbesondere dann, wenn die betroffenen Händler ihre eigenen Kosten nicht mehr decken können und die Handelsplattform in kartellrechtswidriger Weise zur Behinderung des restlichen Online-Handels eingesetzt wird“, führte Behördenchef Andreas Mundt aus.

Laut Kartellamt liegt der Anteil von Amazon bei rund 60 Prozent des Umsatzes im deutschen Onlinehandel mit Waren. Dabei betreibt der Branchenführer sowohl sein eigenes Handelsgeschäft „Amazon Retail“ als auch den Onlinemarktplatz „Marketplace“, auf dem Händler:innen ihre Waren direkt an Verbraucher:innen verkaufen können.

„Für unsere vorläufige Einschätzung hat es auch eine Rolle gespielt, dass die Parameter der eingesetzten Preiskontrollmechanismen im freien Ermessen von Amazon stehen und die Preisgrenzen für Marktplatzhändler nicht transparent sind“, stellt der Leiter des Bundeskartellamts fest.

Wie reagiert Amazon?

In einer ersten Stellungnahme betonte das Unternehmen, die Umsetzung der vorläufigen Einschätzung hätte negative Folgen für Verbraucher:innen und Handelspartner:innen. „Wenn Amazon daran gehindert würde, Kunden beim Finden wettbewerbsfähiger Angebote zu helfen, würde das zu einem schlechten Einkaufserlebnis führen, da wir unfaire oder sogar missbräuchliche Preise bevorzugen müssten“, so das Unternehmen. Kunden würden dann fälschlicherweise glauben, ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis zu bekommen, obwohl das nicht der Fall sei.

Kleine und mittelständische Unternehmen, die über Amazon verkaufen, „legen ihre Preise frei und unabhängig fest“, betonte eine Sprecherin. Diese Aussage steht jedoch im Widerspruch zu den von Amazon nicht transparent festgelegten Preisgrenzen, welchen sich die Händler:innen beugen müssen, wollen sie auf dem Marktplatz sichtbar bleiben.

Fazit

Amazons Preisvorgaben stellen für viele Händler:innen eine tiefgreifende Herausforderung dar. Auf der einen Seite schafft der Konzern vermeintlich stabilere Preise und sorgt für einheitliche Kund:innen-Erfahrungen. Auf der anderen Seite führt der Margendruck zu Verdrängungseffekten, steigert die Abhängigkeit der Händler:innen und ruft wettbewerbsrechtliche Ermittlungen hervor.

Verkäufer:innen auf Amazon Marketplace sollten Preisänderungen und Hinweise im Seller Central nicht nur im Blick behalten, sondern auch dokumentieren. Es waren unter anderem solche Nachweise, welche nach der großen Händler:innen-Befragung zu den aktuellen Maßnahmen des Bundeskartellamtes geführt haben. Während die Behörde und die Europäische Kommission prüfen, ob und wie Amazon seine Marktmacht missbraucht, sollten sich Händler:innen strategisch breiter aufstellen. Eine Kombination aus gezielter Kostenoptimierung, Diversifikation der Verkaufskanäle und Zusammenarbeit mit Verbraucherschutzorganisationen kann helfen, die Risiken abzufedern und langfristig erfolgreich zu bleiben.